Farbenfreude und Lebenslust: die Boutonnière
Unser Boutonnière-Tipp ist in Wahrheit ein Buch-Tipp und die Aufforderung einer in Vergessenheit geratenen herrenmäßigen Beschäftigung nachzugehen: nämlich der Jagd nach vergessenen und schwer erhältlichen Büchern. Hierbei fiel uns vor einiger Zeit eine kleines leinengebundenes Büchlein aus dem Jahre 1913 in die Hände: "Der Gentleman - ein Herrenbrevier" von Franz W. Koebner.
Delft: Meneer Bom mit Christrose beim Zigarrenkauf
Der Autor gibt uns u.a. wichtige Hinweise zum Ballstaat des Herrn, dem Lebensalter des Anzugs und zur Blume im Knopfloch. Weitere wichtige Themen, die heute aktueller denn je scheinen, werden ebenfalls angesprochen. Darunter "Weniger arbeiten und nicht verzweifeln", "Der Gentleman auf Reisen" und "Wie ruft man den Kellner". Rufen Sie noch "Herr Ober" oder "Zahlen bitte"? Klopfen Sie mit Ihrem Monokel dezent auf den Tellerrand? Oder genügt das Heben einer Augenbraue mit Blick auf den Rücken des dienstbaren Kellners?
Wenn Einstecktuch und Blume - bitte dezent und farblich abgestimmt
Zudem finden sich neben unseren Boutonnière-Regeln wichtige Informationen und Lehrreiches zu den Bereichen Autokultur, Herrenfahrer, Kammerdiener, Klubsessel und Whisky Soda. Sie sehen also, es lohnt sich dieses Brevier zu erjagen. Der Connaisseur bevorzugt die in Leinen gebundene antiquarische Erstausgabe von 1913 (diese ist nicht schwer zu finden und sollte preislich bei ca. 40 Euro liegen) oder nach einer Onlinerecherche ein Reprint von 1975 für ca. 10 Euro. Für eine digitale Version klicken Sie den weiter unten genannten Link an.
Die Blume im Knopfloch am Tag und bei der Nacht
Berlin: Maximilian Mogg mit karmesinroter Nelke
So heißt es in unserem antiquarischem Buch: "Mit den ersten Frühjahrstagen sind sie da – kaum der sonnendurchwärmten Erde entsprossen, finden sie den Weg in die Knopflöcher der hellen Sakkos, der ersten Frühjahrskostüme. Hier gibt es keine Mode, hier herrscht der rein persönliche Geschmack. Der eine wählt die zartrosa Nelke, der andere die blutrote Rose. An und für sich ist gegen die Mode der Blume im Knopfloch nichts einzuwenden – allerdings unter zwei Voraussetzungen –, erstens nur bei Sonnenschein und zweitens in genauer Übereinstimmung (niemals im Kontrast) zu den sonstigen Farben der Toilette."
London: James Louis Richardson mit Seidenrose
Das sehen wir heute etwas weniger konventionell, sind doch Konventionen da, um gebrochen zu werden - und dann geläutert wieder zu Ihnen zurückzufinden. Doch zurück ins Jahr 1913: "Die beliebteste Knopflochblume am Tage ist die gefüllte weiße Nelke. Abends zum Frack hat sich von Urväterzeiten her bis noch vor ganz kurzem die Gardenie erhalten, die manchmal in der Größe einer Chrysantheme getragen wurde. [man höre und staune] An Stelle der Gardenie ist jetzt für den Abenddress die Orchidee getreten."
Die Blume im Sattel und zum Tee
Irgendwo im Grünen: Marcel Wonnberger mit Buschwindröschen
"Im Gegensatz zu früher [also der Zeit vor 1913] trägt man heute die Blumen ohne Blätter [nun ja, die Einen sagen so, die Anderen sagen so]. Die Nelke im Sakko oder Gehrock ist von aparteren Blumen abgelöst worden, Tuberosen, Narzissen, Wicken." Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Nelke im Knopfloch keineswegs ihren Ruf als unverzichtbarer Klassiker eingebüßt hat. Unten im Bild Prinz Bernhard der Niederlande mit seiner unverzichtbaren Knopflochnelke. Eine Stilikone.
Stilikone: Prinz Bernhard der Niederlande - stets mit frischer weißer Nelke im Knopfloch
"Nachmittags zum Tee wirkt im Cut away sehr apart ein Tuff Veilchen – fünf bis sechs Stiele – natürlich immer ohne grüne Blätter. Für den Turf, auf dem Selbstfahrer, im Sattel, wirken außerordentlich die weißen Zwergchrysanthemen, Anemonen und die etwas in Verruf geratenen Margueriten.
Frühling in Island: Jakob Karlsson im Vintage-Anzug aus den 1940er Jahren mit unserem Einstecktuch und Boutonnière "Klee"
An schönen Sommertagen dürfte nichts geeigneter sein, die Farbenfreudigkeit und Lebenslust mehr zu beweisen, als eine unscheinbare kleine Blüte im linken Knopfloch, denn merkwürdigerweise hat man rechts keins." Wie wahr!
Autor: Andreas Thenhaus
Quelle: Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913
Fotos und Models: Joost Bom, Maximilian Mogg, Marcel Wonnberger, Tobin Gattinger, James Richardson, Nationaalarchief, RVD / Koninklijk Huis, Jakob Karlsson
Boutonnière - die Knopflochblume im Nahbereich